Üppige Schwammgärten auf Untersee-Bergen in der arktischen Tiefsee entdeckt

Arktische Tiefsee: Schwammgärten auf dem nördlichen Langseth-Rücken Foto: Alfred-Wegener-Institut / PS101 AWI OFOS System

Üppige Schwammgärten auf Untersee-Bergen in der arktischen Tiefsee entdeckt

Sebastian Grote Kommunikation und Medien
Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung

Schwämme wachsen in großer Zahl und zu beeindruckender Größe auf den Gipfeln erloschener Unterwasservulkane

Auf den Gipfeln von Seebergen im zentralen Arktischen Ozean, einem der nährstoffärmsten Meere der Erde, gedeihen riesige Schwammgärten. Die Schwämme ernähren sich scheinbar von den Überresten ausgestorbener Tiere. Mikroorganismen helfen ihnen dabei, dieses Material als Nahrungs- und Energiequelle zu nutzen. Forschende aus Bremen, Bremerhaven und Kiel sowie ihre internationalen Partner entdeckten diesen einzigartigen Hotspot des Lebens während einer POLARSTERN-Expedition und berichten nun in der Fachzeitschrift Nature Communications über ihre Erkenntnisse. Es ist unerlässlich, die Vielfalt und Einzigartigkeit der arktischen Ökosysteme besser zu verstehen, gerade vor dem Hintergrund globaler und lokaler Veränderungen, betonen die Forschenden.

Dort, wo der Arktische Ozean ständig von Eis bedeckt ist und nur wenig Licht für das Wachstum von Algen zur Verfügung steht, erreicht kaum Nahrung die tiefen Wasserschichten. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Bremen, Bremerhaven und Kiel entdeckten nun jedoch ein überraschend üppiges, dicht besiedeltes Ökosystem auf den Gipfeln erloschener Unterwasservulkane. Diese Hotspots des Lebens werden von Schwämmen dominiert, die dort in großer Zahl und zu beeindruckender Größe wachsen.

„Auf den erloschenen vulkanischen Seebergen des Langseth-Rückens fanden wir riesige Schwammgärten, aber wir wussten nicht, wovon sie sich ernähren“, berichtet Expeditionsleiterin Antje Boetius, Leiterin der Forschungsgruppe für Tiefseeökologie und -technologie am Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie und Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). Anhand von Proben von der Expedition hat Erstautorin Teresa Morganti, Schwamm-Expertin vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen, nun herausgefunden, wie sich die Schwämme an die nährstoffarme Umgebung anpassen: „Wir zeigen, dass die Schwämme mikrobielle Symbionten haben, die altes organisches Material verwerten können. So können sie sich von den Überresten früherer, inzwischen ausgestorbener Bewohner der Seeberge ernähren – zum Beispiel den Röhren von Würmern, die aus Eiweiß und Chitin bestehen, und anderen dort hängen gebliebenen organischen Resten.“

Das große Resteessen

Schwämme gelten als sehr einfache Tiere. Dennoch sind sie in allen Ozeanen, von flachen tropischen Riffen bis hin zur arktischen Tiefsee, erfolgreich und zahlreich vertreten. Viele Schwämme beherbergen als Symbionten eine komplexe Gemeinschaft von Mikroorganismen, die zur Gesundheit und Ernährung der Schwämme beiträgt, indem sie Antibiotika produziert, Nährstoffe transportiert und Ausscheidungen entsorgt. Dies gilt auch für die Geodia-Schwämme, welche die Gemeinschaft auf den arktischen Seebergen dominieren. Die Einheit aus Schwamm und assoziierten Mikroben wird als Schwammholobiont bezeichnet. Gemeinsam mit Anna de Kluijver von der Universität Utrecht und dem Labor von Gesine Mollenhauer am AWI bestimmte Morganti die Nahrungsquelle, das Wachstum und das Alter der Schwämme. Sie fanden heraus, dass vor Tausenden von Jahren Substanzen, die aus dem Inneren des Meeresbodens sickerten, ein üppiges Ökosystem mit zahlreichen Tieren unterstützten. Als sie ausstarben, blieben ihre Überreste zurück. Diese bilden nun die Grundlage für diese unerwarteten Schwammgärten.

Die Analyse der Mikroorganismen bestätigte die Hypothese der Forschenden. „Die Mikroben haben genau den richtigen Werkzeugkasten für diesen Lebensraum“, erklärt Ute Hentschel vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, die mit ihrem Team die mikrobiologischen Analysen durchgeführt hat. „Sie haben die Gene, um widerstandsfähige partikuläre und gelöste organische Stoffe abzubauen und diese als Kohlenstoff- und Stickstoffquelle zu nutzen, neben einer Reihe chemischer Energiequellen, die dort zur Verfügung stehen.“

Das Forschungsteam zeigte auch, dass die Schwämme das Ökosystem mitgestalten: Sie produzieren Nadeln (Spiculae), die eine Matte bilden, auf der die Schwämme kriechen. Diese raue Matte erleichtert zusätzlich die Ablagerung von Partikeln und biogenen Materialien. Die Holobionten des Schwamms können diese wiederum anzapfen und so ihre eigene Nahrungsfalle schaffen.

Schutz erfordert Verständnis

Der Langseth-Rücken ist ein Unterwassergebirge in der Nähe des Nordpols, wo das Meer ständig eisbedeckt ist. Die Biomasse der Schwämme dort ist vergleichbar mit seichteren Schwammgründen, wo der Nährstoffeintrag viel höher ist. „Dies ist ein einzigartiges Ökosystem. So etwas haben wir in der hohen Zentralarktis noch nie gesehen. Die Biomasse, die Algen in den oberen Wasserschichten im untersuchten Gebiet produzieren, deckt weniger als ein Prozent des Kohlenstoffbedarfs der Schwämme. Dieser Schwammgarten mag also ein Ökosystem sein, das nur vorübergehend besteht, aber er ist reich an Arten und beheimatet sogar Weichkorallen“, sagt Antje Boetius.

Die Arktis ist eine der Regionen, die am stärksten vom Klimawandel betroffen ist. „Vor unserer Studie war kein ähnlicher Schwammgarten in der zentralen Arktis bekannt. Das Gebiet ist bisher noch nicht ausreichend erforscht, die Beobachtung und Beprobung solcher eisbedeckten Tiefsee-Ökosysteme ist sehr aufwändig“, betont Morganti. Die enge Zusammenarbeit von Forschenden aus verschiedenen Institutionen, darunter das Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, das AWI und das GEOMAR, ermöglichte ein umfassendes Verständnis dieses überraschenden Brennpunkts des Lebens in der kalten Tiefe. „Angesichts des schnellen Rückgangs der Meereisbedeckung und der sich verändernden Meeresumwelt ist es unerlässlich, solche Hotspot-Ökosysteme besser zu verstehen, um die einzigartige Vielfalt der unter Druck stehenden arktischen Meere zu schützen und zu verwalten“, so Antje Boetius abschließend.



Originalveröffentlichung:

T. M. Morganti, B. M. Slaby, A. de Kluijver, K. Busch, U. Hentschel, J. J. Middelburg, H. Grotheer, G. Mollenhauer, J. Dannheim, H. T. Rapp, A. Purser & A. Boetius (2022): Giant sponge grounds of Central Arctic seamounts are associated with extinct seep life. Nature Communications (2022). DOI: 10.1038/s41467-022-28129-7 (https://doi.org/10.1038/s41467-022-28129-7)

SPERRFRIST: Dienstag, 8. Februar 2022, 17:00 Uhr MEZ (16:00 London time)

Beteilgte Institutionen:

Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Celsiusstr. 1, 28359 Bremen, Deutschland
Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, Am Handelshafen 12, 27570 Bremerhaven, Deutschland
GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, Düsternbrooker Weg 20, 24105 Kiel, Deutschland
Universität Utrecht, Fakultät für Geowissenschaften, Princetonlaan 8a, 3584 CB Utrecht, Niederlande
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Christian-Albrechts-Platz 4, 24118 Kiel, Deutschland
MARUM und Fachbereich Geowissenschaften, Universität Bremen, 28359 Bremen, Deutschland
Helmholtz-Institut für Funktionelle Marine Biodiversität, Ammerländer Heerstraße 231, 26129 Oldenburg, Deutschland
Universität Bergen, Fachbereich Biologische Wissenschaften und K.G. Jebsen Centre for Deep-Sea Research, PO Box 7803, 5020 Bergen, Norwegen




Ansprechpartnerinnen sind:

Dr. Teresa Morganti
HGF MPG Brückengruppe für Tiefseeökologie und -technologie
Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Bremen
E-Mail: tmorgant(at)mpi-bremen.de

Prof. Dr. Antje Boetius
Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, Bremerhaven
Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Bremen
E-Mail: director(at)awi.de

Dr. Fanni Aspetsberger
Pressereferentin, Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Bremen
Tel. 0421 2028-9470
E-Mail: presse(at)mpi-bremen.de

Sarah Werner
Pressereferentin, Alfred-Wegener-Institut
Tel. 0471 4831 2008
E-Mail: medien(at)awi.de

Das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) forscht in der Arktis, Antarktis und den Ozeanen der gemäßigten sowie hohen Breiten. Es koordiniert die Polarforschung in Deutschland und stellt wichtige Infrastruktur wie den Forschungseisbrecher Polarstern und Stationen in der Arktis und Antarktis für die internationale Wissenschaft zur Verfügung. Das Alfred-Wegener-Institut ist eines der 18 Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft, der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands.


Originalpublikation:

https://doi.org/10.1038/s41467-022-28129-7


Weitere Informationen:

https://www.awi.de/ueber-uns/service/presse.html

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